Wer als Europäer in Neuseeland ankommt, wird erst einmal ausgebremst. Bei mir hat es drei Tage gedauert, bis ich meine deutsche Denke, meine Geschwindigkeit und ja, auch meinen deutschen Fahrstil abgelegt hatte. Hier „am Ende der Welt“ geht es ruhiger zu. Hier können wir runterkommen.
Neuseeland ist unglaublich schön. Alle Landschaften, die sonst auf der ganzen Welt verteilt sind, sind hier noch einmal quasi als Mikrokosmos auf diese zwei Inseln im Pazifischen Ozean konzentriert worden: schneebedeckte Berge und endlose Strände, eindrucksvolle Geysire und dichter Regenwald, liebliche Hügellandschaften und idyllische Meeresbuchten, aktive Vulkane und spektakuläre Fjorde, wie der berühmte Milford Sound.
Wer hier auf Sinnsuche gehen möchte, lernt vor allem eines: sich nicht so wichtig nehmen. Gelassener werden. Angesichts der Schönheiten dieses Landes fühlt man sich als kleinen Teil eines großen Ganzen. Das ideale Fleckchen Erde, um seinen inneren Frieden wiederzufinden, mit sich und der Welt ins Reine zu kommen. Und vielleicht auch herauszufinden, was für einen persönlich wirklich zählt im Leben. Eben genau dieses: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?
Das Hamsterrad der deutschen Arbeitswelt lässt man hier bewusst hinter sich. Selbst in der größten Stadt Auckland und in der Hauptstadt Wellington hält sich Hektik sehr in Grenzen. Hupende Autos? Fehlanzeige. Es gibt in ganz Neuseeland nur ein Stück Autobahn. Die Höchstgeschwindigkeit außerhalb der Ortschaft beträgt 100 km/h – mit dem klaren Hinweis „It‘s a limit, not a goal“. Soll heißen, Eigenverantwortung ist angesagt. Vor Kurven, die maximal 60 km/h vertragen, steht kein zusätzliches Warnschild wie das bei uns definitiv der Fall wäre. Es gilt: Situation selbst einschätzen und eigene Entscheidungen treffen. Achtsam fahren, auf seine Intuition verlassen, Gefahren vermeiden. Wer Linksverkehr nicht gewohnt ist, sowieso. In Deutschland gibt es viel zu viele Regeln. Wir sind es gewohnt, dass uns gesagt wird, was wir tun sollen. Diese Lethargie erstickt so manche Kreativität, so manche Neugier auf Neues. Neuseeland hilft in vielerlei Hinsicht „aufzuwachen“.
Besonders fasziniert war ich von der Kultur der Maori. Wie bei vielen Ureinwohnern wurde leider viel zu viel durch die weißen Siedler und die Missionare damals zerstört. Maori legen sehr viel Wert auf ihre Herkunft und ihre Ahnen. In eindrucksvollen Geschichten erzählen sie ihre Historie - und von der ersten Ankunft ihrer Boote aus Polynesien in Aotearoa, dem „Land der langen weißen Wolke“. Was wissen wir über unsere Vorfahren? Über unsere Eltern viel, über die Großeltern wahrscheinlich schon weniger. Was passierte mit ihnen in den Kriegszeiten? Was passierte noch eine weitere Generation vorher? Bücher über unsere Generation als Kriegsenkel gibt es zahlreiche. In der heutigen Zeit wird die Genealogie, die Ahnenforschung immer einfacher – Zeit damit anzufangen! Oft liegt die Wurzel von Problemen in unserem Gen-Pool. Glaubenssätze unserer Vorfahren, alte „Verträge“ haben sich hier noch manifestiert. Daran gilt es zu arbeiten, sich davon zu lösen, hinzuschauen. Weitere Tipps dazu gerne bei mir.
Die Geschichte der Maori war nicht nur mit den weißen Neuankömmlingen, sondern auch untereinander alles andere als friedlich. Über Jahrhunderte gab es Kämpfe und Stammesfehden, denn ihre Ehre, „mana“, war ihr höchstes Gut. Aber das Thema Ehre wäre ein eigener langer Blogeintrag. Dass in Neuseeland bereits 1893 als erstes Land der Welt das Frauenwahlreicht eingeführt wurde, auch.
Eines wollte ich unbedingt in Neuseeland erleben: Einmal mit meinem Auto in einen „Schafstau“ kommen. So wie man es in Neuseeland-Filmen immer sieht. Auf einen Neuseeländer kommen 6 Schafe – früher sogar 22. Am letzten Tag meiner Reise war es endlich soweit. Ich überholte einen gutaussehenden jungen Mann, der relaxed am Strassenrand entlang wanderte. Zugegebenermaßen kurz abgelenkt fuhr ich um die Kurve – und musste eine Vollbremsung hinlegen, um nicht in die Schafherde zu brettern. Da standen wir nun. Der Schäfer kam in aller Ruhe hinterher – er hätte mich ja auch warnen können, aber dazu war er viel zu grundentspannt. In der Ruhe liegt die Kraft...
Mit einem herzlichen „Kia Ora“ verabschiede ich mich aus Neuseeland. Das ist eine der traditionellen Begrüßungen der Māori und wird sowohl zur Begrüßung als auch zum Abschied verwendet. Wörtlich bedeutet Kia ora in etwa „Mögest du gesund sein“ oder „möge es dir gutgehen“.
Euer Tour Guide for Life.